Zum 10. Jubiläum der Orgel-Literatur-Nächte gab es die Orgel-Traum-Nacht in Sankt Joseph.
Am Freitag, den 19. November, dem bundesweiten Vorlesetag, konnten wir über 150 Besucher in unserer Pfarrkirche begrüßen, die sich auf traumhafte Texte, auf dazu passende Orgel-Improvisationen, auf ausgesuchte Bilder und auf eine stimmungsvoll ausgeleuchtete Kirche freuten.
Laut Wikipedia „versteht man unter einem Traum das Erleben während des Schlafes.“ Aber an diesem Abend wurde der Traum-Begriff sehr weit gefasst. Die Texte, deren Erstehungszeit sich über einen Zeitraum von gut und gerne 300 Jahren spannte, umfasste auch Wunschträume, Tagträume und alptraumartige Ereignisse.
Schon am Vortabend war ein Team von Technikern und Dekorateuren in der Kirche tätig. Sie installierten insgesamt vier Computer, neun Beamer, zwei davon für Hinterwandprojektion, zwei Kameras, zwei Großleinwände und einen Regie-Mixer, sie statteten den Platz für die Vorleserin und die beiden Vorleser sowie die Altarstufen passend zum Thema des Abends aus, bereiteten die Beleuchtung vor und bauten die Imbiss-Stationen auf.
Die folgenden Fotos zur Orgel-Traum-Nacht wurden von Stefan Guntermann gemacht und freundlich zur Verfügung gestellt.
Ein kurzer Einblick in die Arbeiten am Vorabend:
Nachdem an der Abendkasse noch viele Besucher eine Karte erstehen, füllt sich das Kirchenschiff mit erwartungsvollen Gästen:
Punktlich um (kurz nach) sieben begrüßt Pfarrer Ingo Mattauch die BesucherInnen und Simone Hirsch-Bicker und Helmut Fleer führen in den Abend ein, stellen die Organisten und RezitatorInnen vor und berichten von den aufregenden Tagen der letzten Wochen, in denen zwei Organisten kurzfristig wegen Erkrankung bzw. Termin-Schwierigkeiten ersetzt werden mussten.
Die von Simone Hirsch-Bicker ausgesuchte Riege diesmal wirklich internationaler Organisten erfüllt die Erwartungen des Publikums nicht nur, sondern übertrifft sie bei Weitem, und die Vorleserin und die beiden Vorleser tragen engagiert und einfühlsam die ausgesuchten Texte des Abends vor. (Nähere Angaben zu den Ausführenden finden Sie in diesem Bericht zur Vorankündigung.)
Der erste Teil des Abends steht unter dem Thema „Ein Gruseltraum“ und der zugehörige Text wurde 1925 von dem belgischen Autor Raymundus Joannes Maria de Kremer geschrieben, der von 1887 bis 1964 in Gent lebte, und seine Werke vor allem unter dem Pseudonym Jean Ray veröffentlichte. Er fand – und findet bis heute – besonders im französischen Sprachraum großen Anklang. Seine Erzählung „Der Friedhofswächter“ hat einen eher düsteren Charakter und schildert Ereignisse, die das Leben des Protagonisten zu einem Alptraum werden lassen. Die dazu gezeigten Bilder versuchen, die düstere Atmosphäre eines nächtlichen Friedhofes widerzugeben, während auf den Wänden und an der Decke große Fledermäuse ihr Unwesen treiben…
Martin Neuhaus liest die Geschichte mit genau dem richtigen Tonfall, der das Gruselige der Situation heraufbeschwört, und an der Orgel untermalt, kommentiert, illustriert und betont Hoonbyeong Chae kongenial alle Facetten dieser alptraumhaften Erzählung. Großer Applaus am Ende beweist, dass der Abend einen guten Anfang genommen hat.
In der anschließenden Pause gibt es für alle einen kleinen Imbiss.
Im zweiten Durchgang kommen Daniel Fleer als Vorleser und Simon Daubhäußer an der Orgel zum Einsatz. „Märchenträume“ lautet die Überschrift, und zu hören ist die Geschichte vom „Teufel mit den drei goldenen Haaren“, erstmals gedruckt erschienen 1815 in den weltberühmten Kinder- und Hausmärchen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1785–1863). Die dazu gezeigten Bilder (Buchumschläge, DVD- und CD-Hüllen, Theater-Plakate von Kinder-, Erwachsenen- und Marionetten-Bühnen, Szenen-Fotos von Aufführungen, Zeichnungen, Scherenschnitte und Bastel-Ergebnisse zu diesem Märchen) zeigen, dass sich viele Künstler immer wieder ausführlich mit diesem Märchen beschäftigt haben. Daniel Fleer liest dieses tolldreiste Abenteuer mit dem nötigen Humor, sodass nicht nur die Kinder sondern auch die Erwachsenen in der Kirche auf ihre Kosten kommen, und die Klänge, die Simon Daubhäußer der Stockmann-Orgel entlockt, sind sowohl märchenhaft als auch traumhaft. Großer Applaus am Ende – was will man mehr!
Wie schon bei drei vorangegangenen Orgelnächten gibt es auch an diesem Abend wieder lyrische Texte, und zwar drei Gedichte unter der Überschrift „Traumfantasien“. Und weil es in diesem Jahr die Jubiläums-Nacht ist, kommt ein besonders traumhaftes Instrument zum Einsatz, eine Verrophon, volkstümlich auch als Glas-Orgel bezeichnet. Andrés Bertomeu erzeugt darauf Sphärenklänge, die das Publikum ins Staunen und Träumen versetzt, während Stefanie Hilgert mit ihren Rezitationen begeistert.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), oft als größter deutscher Dichter bezeichnet, ist als erster Autor vertreten und zu hören ist sein berühmter „Zauberlehrling“, entstanden im Jahr 1797. In diesem Gedicht wird vor Augen geführt, wie leicht ein Wunschtraum zum Alptraum werden kann. Die dazu gezeigten Bilder stammen aus dem Disney Zeichentrick-Film „Fantasia“ von 1940.
Das zweite Gedicht heißt ganz einfach „Der Traum“, entstand 1769 und stammt von Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748 – 1776). Der schon mit 28 Jahren verstorbene Dichter und Theologe ist vor allem bekannt durch sein Gedicht „Üb‘ immer Treu‘ und Redlichkeit“. Bei den dazu gezeigten Bildern handelt es sich um Kunstwerke unterschiedlichster Künstler, die den leicht erotisch angehauchten Charakter dieses Gedichts dezent ins Bild setzen.
Einen neuen Weg beschreiten die Veranstalter mit dem dritten Beitrag zu den Traumfantasien. Er stellt ein politisches Statement als Schlusspunkt ans Ende dieser Orgelnacht:
Ed McCurdy (1919 – 2000), ein kanadischer Folksänger veröffentlichte 1950 sein Antikriegslied „Last Night I Had the Strangest Dream“, das später zu einer Hymne des Pazifismus wurde. Es liegt mittlerweile in 67 Sprachen vor und wurde unter anderem auch von Bob Dylan, Simon & Garfunkel und John Denver gesungen. 1979 brachte der deutsche Liedermacher Hannes Wader eine kongeniale deutsche Nachdichtung dieses Textes unter dem Titel „Der Traum vom Frieden“ heraus. Genau mit diesem Traum, unterlegt mit verschiedenen Bildern eines weltbekannten Friedenssymbols, geht der Abend zu Ende.
Lang anhaltender, wirklich begeisterter Applaus zeigt, dass die Glas-Orgel mit ihren faszinierenden Klängen hervorragend zu dieser Traum-Nacht passte, bezieht sich aber mit Sicherheit letztlich auf alle Darbietungen dieser Jubiläums-Nacht.
Zum Schluss bedanken sich die noch anwesenden Aktiven (die beiden Organisten haben bereits den Heimweg nach Köln bzw. Dortmund angetreten) beim Publikum für den Beifall, und Simone Hirsch-Bicker und Helmut Fleer laden zur 11. Orgel-Literatur-Nacht am 15. November 2024, dann als Orgel-Spuk-Nacht, ein.