Christliche Erziehung und die Schulfrage
Mit der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 ging das Deutsche Reich von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie über. Die Kirchen blieben Körperschaften des öffentlichen Rechts, ihnen wurde gemäß Art. 137 Abs. 3 ein Freiheitsraum gewährt, innerhalb dessen sie eine eigenständige Rechtsmacht begründen konnten. Die öffentliche Bekenntnisschule wurde grundsätzlich gewährleistet. Der Religionsunterricht blieb an allen Volksschulen ordentliches Lehrfach. Die Verfassung kam also dem starken Interesse der Kirche entgegen, die christliche Erziehung als Bestandteil der Glaubensbildung und -verbreitung intakt zu halten.
Aufgrund der Forderungen der Päpste Benedikt XV. und später Pius XI. wurden katholische Eltern in ihrem Gewissen verpflichtet, ihre Kinder auf katholische Schulen zu schicken. Dies erschien auch den damaligen Geistlichen lebenswichtig, und am 25. Januar 1920 finden wir in der Chronik die Eintragung: „Gründung eines Ortsausschusses für die Verteidigung der christlichen Schule.“ Dieser Kreis hat versucht, in Gesprächen und Veranstaltungen die katholischen Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder einer katholischen Schule anzuvertrauen. Dass die Eltern in blindem Gehorsam zur Kirche so handelten, war keineswegs sicher, denn die neue Weimarer Verfassung garantierte zwar im Grundsatz die Bekenntnisschule, favorisiert und rangmäßig höher eingestuft jedoch wurde die Gemeinschaftsschule. Um den Erhalt der Konfessionsschule musste also schon gerungen werden. Die Gemeinschaftsschule hat denn auch in Schonnebeck für Jahrzehnte bei den evangelischen wie katholischen Christen keine Chance gehabt. Die katholischen Kinder Schonnebecks besuchten ausnahmslos die katholische Portendieck-Schule (Berg) an der Ecke Matthias-Erzberger-Straße/Wengestraße oder die katholische Saatbruchschule (Bruch) an der Schonnebeckhöfe. Religionsunterricht wurde von den Geistlichen erteilt. Evangelien in Kurzform („Kleine Bibel“) für die Unterstufe oder in Langform („Große Bibel“) für die Oberklassen sowie Katechismusfragen und -antworten mussten von den Schülern zunächst „auswendig“ gelernt werden, bevor die Auslegung und tiefere Erklärung der Texte begann. Eines wurde auch nie vergessen: die Kontrollfrage nach der Anwesenheit eines jeden bei der Christenlehre am Sonntag oder beim werktäglichen Schulgottesdienst. Mit auf dem Unterrichtsprogramm standen auf jeden Fall auch die Kirchenlieder.
Übrigens, am Rande notiert: Die Schuljungen trugen den „Borbecker Halblang“, das waren Hosen, die von den Müttern aus abgelegten, noch brauchbaren Hosen der Väter zurechtgeschneidert wurden. Zu große Taillenweiten wurden mit Hosenträgern ausgeglichen, die Jungen wuchsen aus den Hosen heraus. Verwundert stellen wir heute fest, dass es in jenen Jahren schon Elternbeiräte gab, die so eine Art Bindeglied zwischen Schule, Elternhaus und Kirche darstellten. Unter dem 15. Juni 1928 gibt es in der Chronik folgende Eintragung: „In den diesjährigen Elternbeiratswahlen wurden wie auch früher nur christliche Eltern gewählt.“
Am 1. August 1929 werden zwei Städte (Steele und Werden) und neun Gemeinden, u.a. Stoppenberg und Schonnebeck in die Stadt eingemeindet, von da an heißt unser Ort Essen-Schonnebeck. Vielleicht als eine Morgengabe der Stadt Essen, eher aber aufgrund steigender Schülerzahlen in Schonnebeck, wurde in der Luisenstraße (heute Immelmannstraße) die Glückaufschule errichtet, ein recht imposanter Bau zwischen den beiden Kirchen, die am 18. Januar 1931 ihrer Bestimmung übergeben wurde. Die katholische Portendieckschule und die evangelische Joachimschule aus der Heinrichstraße (Hausdykerfeld) zogen in das neue Gebäude um. Die „Verteidigung“ und Erhaltung der katholischen Bekenntnisschule in Schonnebeck konnte im Sinne der Kirche als großer schulpolitischer Erfolg gewertet werden. Das Gebäude der Glückaufschule war dabei das „Sahnehäubchen“.
Aufziehendes Unheil
Nach dem endgültigen Abzug der französischen Besatzer aus dem Ruhrgebiet im Jahre 1925 schien das kirchlich-religiöse Leben in ruhigen Bahnen zu verlaufen, unsere Eltern-Vorfahren sprachen sogar von einer schönen und wirtschaftlich guten Zeit bis etwa 1928. Auch unsere Kirchenchronik bestätigt dieses Empfinden. Mit der 1928/29 einsetzenden und stetig zunehmenden Arbeitslosigkeit und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise jedoch mehrten sich politisch die Zeichen am Horizont, die Unheil ankündeten. Die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage hatte das Anwachsen der radikalen Parteien auf der Rechten und Linken zur Folge. Besorgt beobachtete der Pfarrer diese Entwicklung und hielt die wichtigsten Wahlergebnisse ab 1930 in der Chronik fest. Zur Orientierung und zum besseren Verständnis der folgenden Ereignisse geben wir verkürzt die Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1930 bis 1933 in einer Tabelle wieder; die Daten sind dem Buch „Chronik des Ruhrgebiets“, Dortmund 1987, entnommen.
Ergebnis der Reichstagswahlen 1930-1933 in Essen: