Gemeindeleben im Bombenkrieg
Wie konnte die Gemeinde vor dem Hintergrund der genannten Einschränkungen und Verbote, der ständigen Bespitzelung durch die übelste Sorte von Mitläufern, die Denunzianten, und schließlich bei den ansteigenden Bombenangriffen der Alliierten bestehen und überleben?
Die damals verantwortlichen Geistlichen bemühten sich, die gesetzlichen Verordnungen der Reichsregierung zu beachten, um den Spielraum für Katechese, Verkündigung und Sakramentenspendung nicht zu gefährden. Die wahre Einstellung des Pfarrers zu den Nazis und ihren Untaten jedoch geht aus den Aufzeichnungen u.a. von 1942 hervor, in denen er unter der Überschrift „Der Kampf gegen die Kirche“ mit den bis dahin bekannten Vergehen und Rechtsbrüchen scharf ins Gericht geht. Wie gut, dass dieses Schriftdokument den damaligen Machthabern nicht in die Hände gelangte.
Die Seelsorge wurde neben den normalen Gottesdiensten deutlich verstärkt. Da den meisten Organisationen ein öffentliches Auftreten untersagt war, wurden die Männer und Jungmänner, die Frauen und Jungfrauen, die Jugendlichen und Schulentlassenen angesprochen und öfter als bisher zu Einkehrtagen eingeladen. Als Raum stand das Schwesternhaus zur Verfügung, das seit 1937 eine Kapelle mit dem Allerheiligsten besaß und 1939 ein neues Harmonium bekommen hatte. Auch personell ließ sich das bewältigen, da ab Mai 1937 der Pfarre eine zweite (feste) Kaplanstelle genehmigt worden war. Das Beispiel einer Einladung aus dem Jahre 1939 zeigt uns, für wie wichtig die Beteiligung an den Einkehrtagen angesehen wurde. Da heißt es u.a., und das war in einem veröffentlichten Schreiben gerade noch an der zulässigen Grenze: „Auch Du bedarfst zuweilen eines stillen Tages, um Dich an das Höchste und Letzte zu besinnen, heute mehr denn je, wo alle religiösen Werte angegriffen (werden) und bei vielen ins Schwanken gekommen sind.“ Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen war in den Jahren 1939 bis 1943 sehr gut. Die Verschärfung der Kriegslage brachte es mit sich, dass die Einkehrtage eingestellt werden mussten.
Ein besonderes Anliegen war den Geistlichen auch die Sorge um die Soldaten an der Front. Jährlich wurden Pakete zusammengestellt und verschickt, der Pfarrkalender mit den aktuellen Fotos von der Kirche oder den neuen An- und Umbauplänen (1942) kam zu Weihnachten heraus und wurde den Soldaten zugesandt, immer begleitet von einem Seelsorgebrief. Von den meisten kamen dankerfüllte Rückantworten. Der Versuch, mit den Briefen auch religiöse Schriften zu versenden, schlug fehl. Dies wurde untersagt mit dem Hinweis, dass die Heeresseelsorge genüge. Dazu lesen wir in der Chronik die Reaktion: „Selten aber erzählen Soldaten etwas von Wehrmachtsseelsorge oder Feldgottesdiensten. Die allermeisten haben nie einen Feldgeistlichen gesehen.“ Für die gefallenen Soldaten fanden in den Kriegsjahren feierliche Totenämter statt. Der Kampf um die Gottesdienstordnung – es gab seit 1938 fünf Sonntagsmessen, drei Werktagsmessen, an jedem Tag eine Andacht – war auf Dauer zermürbend. Zudem durfte die Kirche immer nur so viele Besucher aufnehmen wie im Luftschutzraum untergebracht werden konnten. Als Luftschutzräume galten dabei die „splitter- und gassicheren“ Häuser in Kirchnähe: das Pastorat mit 100, die Kaplanei mit 150, das Schwesternhaus mit 70, die Ziegelei mit 70 und die Glückaufschule mit 900 Personen.
Die ab 1941 heftiger werdenden Bombenangriffe erforderten ständige Änderungen und Anpas-sungen der Gottesdienste an die erwarteten Fliegeralarmzeiten. Verkürzte und verlegte Gottesdienste, Alarm während der Messe, Flucht in den ersten Jahren in die Luftschutzräume, später in den nahen Luftschutzbunker, dessen Eingang gleich zum Stapel hin hinter dem Schwesternhaus lag, Angst vor Volltreffern, auch im angeblich sicheren Bunker, Lichtausfall, das war in den letzten Jahren des Krieges tägliche Wirklichkeit. Dennoch: die Gemeinde hielt tapfer durch, Gottesdienste wie Andachten waren gut besucht. Besonders begeistert berichtet der Chronist von den Mai- und Rosenkranzandachten, von den feierlichen Hochämtern an den Hochfesttagen, insbesondere zu Weihnachten. Im Mai 1944 findet sogar zum ersten Mal im Krieg eine Fronleichnamsprozession „rund um die Kirche“ statt. Wir lesen: „…wieder eine Fronleichnamsprozession. Engelchen, Fahnen, ein Altar im Hauptportal. Große Beteiligung der Gläubigen, zweimal um die Kirche, Dauer 35 Minuten.“
1942 tauchte im Zusammenhang mit der Karfreitagsliturgie der Begriff „Volkspassion“ auf. Gemeint war die Passion nach Matthäus, die komplett in Deutsch vom Chor gesungen wurde, die Gemeinde war mit mehreren Volksgesängen beteiligt. Der Zelebrant las die Leidensgeschichte leise auf Latein.
Die Pläne zur Erweiterung und zum Umbau der Kirche sowie die erfolgte Höherlegung des Chorraums (1940) erscheinen uns heute wie ein Signal, trotz schlimmer Bedrängnis die Hoffnung nicht aufzugeben. Wie wir aus den Aufzeichnungen erfahren, wurden Baupläne und Veränderung des Chorraums von der „Bevölkerung“ in der Tat begeistert aufgenommen.